#193 Microblogging im Projektmanagement

Dirk Röhrborn und Martin Böhringer machen sich in ihrer Präsentation stark für Mikroblogging (á la Twitter) im Projektmanagement:

Sie verweisen auf die Vorteile einer Peer-to-Peer-Kommunikation (alle haben alle Informationen) und sehen dies als Ansatz für eine nachvollziehbare Projekthistorie und Basis für die Dokumentation.
Um ehrlich zu sein, geht mir diese Sichtweise viel zu weit: Peer-to-Peer Kommunikation läuft Gefahr zu einem „Mail an alle“ zu verkommen. Natürlich hat dann jeder jede Information, aber ist das überhaupt sinnvoll? Ich bin kein Geheimniskrämer und auch in Großprojekten predige ich immer wieder für Transparenz und Offenheit, aber die Komplexität von Projekten ist häufig erschlagend. Zwar sollte jeder Zugang zu allen relevanten Infromationen haben, aber die Projektmitarbeiter sind auch vor einem Information Overkill zu bewahren, denn sonst sehen sie im sprichwörtlichen Sinn den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.
Ein weiteres Manko sehe ich in der strikten Limitierung des Umfangs auf 140 Zeichen. Zurecht kritisieren viele die Trivialisierung unserer Projektwelt durch die Powerpoint-Manie. Eine Reduktion auf 140 Zeichen je Botschaft treibt dies aber möglicherweise auf die Spitze.
Im Einzelfall kann ich mir aber durchaus auch den Einsatz von Microblogging vorstellen: In einem Umfeld mit sehr hoher Affinität zu solchen Kommunikationsmedien, aber auch dann sollten wir uns stets der Grenzen dieses Mediums bewusst sein.


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18 Kommentare zu “#193 Microblogging im Projektmanagement”

  1. surfguard
    22. Juni 2009 um 13:28

    Ich halte Microblogging für ein extrem vielversprechendes Kommunikationsmittel in Projekten und kann die Einwände nur teilweise nachvollziehen. Letztlich lösen sie sich in Wohlgefallen auf, wenn man sich klar macht, dass ein Microblog
    a) natürlich nicht die einzige Kommunikationsplattform in einem Projekt sein sollte und
    b) ein Microblog nicht über Push sondern über Pull funktioniert: Ich bekomme keine „Mail an alle“, die Aufmerksamkeit fordert, sondern ich entscheide, wem ich folge, wann ich die Einträge lese (und ob überhaupt).

    Ein Microblog macht die vielen kleinen Informationen, die Projektmitarbeiter informell austauschen (sollten) für alle besser verfügbar. Man weiß einfach mehr über das Projekt. Und in sehr großen Projekten wird man bestimmt nicht allen Projektmitgliedern folgen, sondern nur denjenigen, die für einen selbst relevant oder interessant sind.

    Ein Microblog kann quasi die digitale Kaffeküche eines Projekts sein: Der Ort, an dem das Team sich informell aber doch relevant austauscht. In Microblogs wird das vermittelt, was ich „ambientes Wissen“ nennen würde.

    Am besten ist es natürlich, wenn es wirklich eine Kaffeeküche gibt und/oder wenn die Projektmitarbeiter sogar in einem Raum sitzen. Sobald das aber nicht möglich ist, bringt ein Microblog eine völlig neue Kommunikationsqualität in ein Projekt.

  2. admin
    22. Juni 2009 um 15:00

    Ich kann mir Microblogging unter besonderen Umständen ja durchaus vorstellen, aber wie gesagt nur in einem Umfeld mit sehr hoher Affinität zu solchen Medien. Ich glaube aber nicht daran, dass Projektmitarbeiter durch ein Projekt zum „twittern“ gebracht werden können. Bei „twitternden“ Mitarbeitern kann ich mir wiederum vorstellen, dass sie ein solches Medium auch in einem Projekt nutzen, aber sinnvoll ist der Einsatz erst, wenn alle relevanten Informationen im Peer-to-Peer-Netz landen.
    Aus Projektsicht scheint mir auch die Umfangsbeschränkung wenig sinnvoll. Vielleicht wäre hier ein Wiki schon eine bessere Alternative.

  3. surfguard
    22. Juni 2009 um 20:41

    Das mit der notwenidgen Affinität unterschreibe ich sofort. Microblogging ist etwas, das noch nicht allgemein akzeptiert oder evrstanden ist. Größtes Hindernis: Man muss es ausprobieren, um seinen Wert zu erkennen.

    Dass Microblogging im Projekt nur sinnvoll ist, wenn es „alle relevanten Informationen“ enthält, halte ich für falsch. Erlauben Sie Kaffeeküchengespräche im Projekt etwa auch nur, wenn dort alle relevanten Informationen ausgetauscht werden?

    Und schließlich sind ein Wiki und ein Microblog völlig unterschiedliche Tools, die für völlig unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden sollten. Das eine dient der Erarbeitung von kondensierter und abgestimmter Iniformation. Das andere dient der Verteilung von jeder Art von Information, insbesondere informeller Information.

    Ich lese seit Jahrzehnten die Zeitung, ich lese seit vielen Jahren Blogs und ich twittere seit eineinhalb Jahren. Keines dieser Medien würde ich durch ein anderes ersetzen wollen.

  4. Dirk Röhrborn
    22. Juni 2009 um 23:20

    Lieber Herr Schloss, ich freue mich sehr, dass Sie meinen Vortrag auf der interPM zum Anlass für die Diskussion von Microblogging in Ihrem Blog nehmen. Ich kann mich den Argumenten von surfguard nur anschließen und möchte gern einige Punkte kommentieren:

    1. Microblogging ist NICHT „Mail an alle“
    Ein Projekt-Microblog erlaubt es eben gerade ganz fokussiert die Nachrichten zu lesen, die mich mit Bezug zu einem bestimmten Thema oder bestimmte Personen interessieren. Ferner wird man gerade in Großprojekten auch im Microblog eine sinnvolle Teamstruktur abbilden.

    2. 140 Zeichen sind manchmal gut, oft aber zu wenig
    Die Reduktion auf 140 Zeichen a la Twitter zwingt zu Kürze und Würze und wird daher von manchen explizit gefordert. Bei Communote haben wir die Beschränkung aber aus den von Ihnen genannten Gründen aufgehoben.

    3. Microblog ist eine Art „fachlicher Flurfunk“
    Dass sich Micrblogs zuerst bei IT-Leuten verbreitet verwundert natürlich nicht. Die ersten Autofahrer waren Ingenieure, die erste E-Mail Nutzer Wissenschaftler und Techniker. Heute sieht nutzen selbst Silver Surfer E-Mail ganz alltäglich. Wir sehen in unserer Firma bereits heute aktive Communote-Nutzer in den Bereichen HR und Finanzen, die keine Techies oder Digital Natives sind.

    Daher erwarte ich eine recht schnelle Verbreitung des Microblogging-Ansatzes in der Projektpraxis und bin natürlich selbst gespannt darauf.

  5. Microblogging im Projektmanagement | Von Dirk Röhrborn | Communote, Microblogging, Projektmanagement, team collaboration, Unternehmenseinsatz | Human Network Competence
    22. Juni 2009 um 23:41

    […] intensive Diskussion des Themas findet sich u.a. im Blog von Berhard Schloss. No TweetBacks yet. (Be the first to Tweet this post) SHARETHIS.addEntry({ title: „Microblogging […]

  6. admin
    23. Juni 2009 um 08:13

    Wir nähern uns immer weiter an: Ich würde den Teufel tun und jemanden das „Twittern“ untersagen. Erhebt man aber einen Dokumentationsanspruch (wie in den zitierten Beiträgen) geschehen, so steigen meine Ansprüche… Wir sind uns sicher einig, dass die Kommunikation das Entscheidende ist. Und Face-to-Face, egal ob am Schreibtisch oder in der Kaffeeküche ist immer noch am besten, aber in puncto Dokumentation sind dann vielleicht doch andere Medien besser geeignet.

  7. admin
    23. Juni 2009 um 08:28

    Natürlich ist Microblogging nicht „Mail an alle“, vielleicht eher ein „to whom it may concern“. Kommunikationstheoretisch ist das aber auch das nicht ganz ohne, denn eine Kommunikation hat immer Sender und Empfänger. Wenn der Sender nicht weiß, wer sein Empfänger ist, dann kennt er auch nicht dessen Kontext. In homogenen Gruppen spielt das vielleicht noch keine große Rolle, je unterschiedlicher die beiden Parteien aber sind, umso mehr sind Missverständnisse vorprogrammiert. Desweiteren stellt sich die Frage, wie mit politischen Botschaften umgegangen wird. Liegt es dann wirklich am Empfänger, welche Nachrichten er lesen kann oder nicht?
    Grundsätzlich sehe ich das Thema Microblogging ganz entspannt. Heute reden wir von Twitter, morgen kommt Google Wave, wer weiß, was übermorgen kommt. Wie an anderer Stelle schon angemerkt begrüße ich grundsätzlich jede Kommunikation. Aber wir sind auch hier Modewellen ausgesetzt. Das eine oder andere wird sich durchsetzen. Und vom „Twittern“ bin ich einfach noch nicht so überzeugt, aber wir werden sehen.

  8. Joachim Niemeier
    23. Juni 2009 um 10:41

    Ich möchte ein paar Aspekte zu dieser spannenden Diskussion beisteuern. Einen Blick auf dieses Thema aus meinem Arbeitsalltag zeigt: Projektarbeit ohne Microblogging kenne ich praktisch gar nicht mehr und E-Mail ist ganz klar ein sekundäres Arbeitsmedium geworden.

    Als früher Microblogging-Fan bin ich immer daran interessiert zu verstehen, was denn das Neue an einem Werkzeug ist und welche Anwendungspotentiale in den Unternehmen damit erschlossen werden können. Mal ganz provokant formuliert: Microblogging hat das Potential, eine „Killer Applikation“ für die Transformation der Unternehmen zu werden. Für den Anwendungsfall „Projektmanagement“ gibt es dafür eine Reihe von Argumenten:

    – Traditionelle Enterprise IT-Tools haben Lücken. Eine davon ist der Aufwand, der erforderlich ist, um 10 Zeilen Information, die für einen selbst oder auch für andere nützlich sein können, zu erfassen und zu teilen.

    – Wenn man ehrlich zu sich ist: viele Konversationen in Projekten (und damit Entscheidungen) werden daher nicht dokumentiert, man findet (vielleicht besser “sucht”) diese allenfalls in E-Mails.

    – Microblogging ermöglicht den Prozess der Interaktion, ist im IT-Jargon eher ein „Enabler“. Die darauf aufbauende Phase der aktiven Interaktion ist dann ein weiterer Schritt, der eine aktive Gestaltung (sowohl mit klassichen als auch virtuellen Formaten) notwendig macht.

    – Die Vielfalt an Anwendungsmöglichkeiten von Microblogging und der emergente Charakter bei der Nutzung sind Herausforderungen für die organisatorische Gestaltung. Ohne die richtigen Rahmenbedinungen wird Microblogging nicht zum Selbstläufer werden.

    Da kommt mir gerade die Idee, vielleicht wäre es nützlich, die ganze Diskussion rund um das Thema Microblogging mal in einer SWOT-Matrix zu systematisieren?

  9. Lutz Gerlach
    23. Juni 2009 um 12:12

    „Mal ganz provokant formuliert: Microblogging hat das Potential, eine “Killer Applikation” für die Transformation der Unternehmen zu werden“ (Zitat von Joachim Niemeier)

    Wenn das auf die Transformation zum ‚lernenden Unternehmen‘ abzielt: volle Zustimmmung. Dafür sprechen aus meiner Sicht (ergänzend zu den hier bereits angesprochenen Vorteilen) zwei Eigenschaften von Microblogging:

    – permanente Verfügbarkeit/Bedienbarkeit im Arbeitsprozess (bei entsprechender mobiler Hardware), damit sehr geringe Schwellen bei der Erzeugung organisationalen Wissens

    – vielfältigste Möglichkeiten zur Weiterverarbeitung der Microinformationen (z.B. Aggregation mittels Mashups und Tagging, Integration in ECM etc.), damit gelangen die Informationen auch in die relevanten Anwendungskontexte

    Zweifellos ist Projektmanagement eine sehr taugliche Eintrittpforte für Microblogging in Unternehmen, und hier werden hoffentlich auch die zahlreiche spannende Use Cases entstehen.

  10. admin
    23. Juni 2009 um 12:32

    Das Wort von der Killer-Applikation haben wir schon öfters gehört. Sollte das Segway nicht unsere Fortbewegung revolutionieren? Ist Wolfram alpha nicht der Google-Killer?
    Kommunikationsprozesse in Projekten sind extrem komplex. Ich habe wenige Projekte gesehen, die sich da noch nebenher als Eintrittspforte für irgendetwas instrumentatliiseren lassen. Projekte sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

  11. Joachim Niemeier
    23. Juni 2009 um 14:52

    @admin

    Zum Thema „Instrumentalisieren“: Ich hab die Erfahrung gemacht, dass man in Projekten das Werkzeug Microblogging einfach mal nutzen sollte (und auch ohne große Einführung nutzen kann). Nach wenigen Tagen können es sich die Beteiligten gar nicht mehr wegdenken („Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen wie wir früher im Projekt gearbeitet haben“) und dann kann man sich auch „outen“, dass man ein Werkzeug aus der „Social Media“-Werkzeugkiste einsetzen kann.

    Also lieber nicht ankündigen: „In diesem Projekt arbeiten wir jetzt mit Microblogging.“

    Allerdings, das „einfach nutzen“ entpflichtet den Projektleiter nicht von der Aufgabe, sich um die des Werkzeugs sehr aktiv zu kümmern. Das beginnt bei den Inhalten und geht weiter über die Links bis hin zur Pflege der Tags (Taxonomy vs. Folksonomy).

    @Lutz Gerlach

    Ja, sehr gut! Insbesondere die Möglichkeiten zur Weiterverarbeitung sind wichtig.

  12. Lutz Gerlach
    23. Juni 2009 um 15:09

    Nun, auch wenn Projektmitarbeiter zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, als dass sie aktiv Microblogging im Unternehmen promoten würden, so diffundieren doch ihre persönlichen Nutzungserfahrungen ganz zwanglos, früher oder später innerhalb der ganz normalen Unternehmenskommunikation. Positive wie auch negative Erfahrungen übrigens. Insofern gefällt mir nach wie vor der Gedanke, first adopter im Projektmanagement zu suchen und diese als Eintrittspforte für unternehmensweites Microblogging zu sehen. Ich denke, Dirk Röhrborn und Martin Böhringer sind da absolut auf dem richtigen Weg. Und auch an Universitäten kann Microblogging seine Vorteile derzeit am ehesten im Projektmanagement von (Verbund)projekten ausspielen, in diesem Feld sammeln wir selbst gerade die ersten Erfahrungen.

  13. Joachim Niemeier
    23. Juni 2009 um 15:25

    Wenn man mal diese Diskussion hier als „rudimentäres“ Microblogging ansieht, dann kann man einen weiteren Effekt ganz praktisch erleben:

    Nicht nur das Team, die Gruppe im engeren Sinne wird in die Kommunikation einbezogen, sondern auch das Netzwerk. Beispiel dazu ist dieser Tweet: http://bit.ly/dcyAd

    Ein Input aus dem Netzwerk in eine (Projekt-) Diskussion ist manchmal vom Wert her nicht hoch genug einzuschätzen. Wer kennt nicht den Spruch, den es über viele Unternehmen gibt: „Wenn XYZ wüsste was XYZ weiß“.

  14. Enterprise Microblogging in der Diskussion | Von Dirk Röhrborn | Kommunikationsprozesse, Microblogging, Projektmanagement, Web2.0 | Human Network Competence
    23. Juni 2009 um 23:37

    […] die Kommunikation und Dokumentation verändern” hat Berhard Schloß in seinem Weblog das Thema aufgegriffen und eine kontroverse und gerade weil sie kontrovers geführt wird sehr lesenswerte Diskussion […]

  15. Microblogging (Twitter) – (Un)Sinn in Projekten? « Projekt Management Beratung
    24. Juni 2009 um 09:25

    […] Endlich jemand, der mich versteht? Bernhard Schloß hat sich in seinem Blog in den Postings Microblogging im Projektmanagement und Microblogging im Unternehmen kritisch mit Twitter & Co. auseinandergesetzt. Während des […]

  16. schlossBlog » #198 Microblogging im Projektmanagement II
    26. Juni 2009 um 08:49

    […] die Diskussion über den sinnvollen Einsatz von Microblogging á la Twitter in Projekten noch einmal […]

  17. schlossBlog » #207 Google Waves
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    […] unsere Microblogging-Diskussion hatte ich Google Waves schon erwähnt. Bei //SEIBERT/MEDIA gibt Doreen Düring einen interessanten […]

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