#516 Gelesen: Die Rationalitätsfalle
Nein, eigentlich heißt das Buch von Julian Nida-Rümelin (JNR) „Die Optimierungsfalle“ und ist eine Kritik an der ökonomischen Rationalität mit Bezügen zur aktuellen Finanzkrise, aber in die Rationalitätsfalle tappt Nida-Rümelin selbst.
Der erste Teil des Buches seziert den Homo Oeconomicus und übt Kritik an der okönomischen Rationalität, einem Begriff dessen exakte Definition Nida-Rümelin leider schuldig bleibt. Die Ökonomie gerät unter Generalverdacht und dem Homo Oeconomicus wird scheinbar noch das Etikett als vorherrschende ökonomische Meinung angehängt. Dabei ist die Kritik am Homo Oeconomicus nicht neu. In meinem BWL-Studium Anfang der Neunziger wurde er üblicherweise eher als historisches Denkmodell, denn als stat-of -the-art gelehrt. Natürlich gibt es auch in der heutigen ökonomischen Lehre noch genügend Optimierungsmodelle, aber man muss auch deren Prämissen betrachten und wenn die Prämissen von einem idealen Markt ausgehen, dass ist es ja schon banale Selbstverständlichkeit, dass es nahezu keinen idealen Markt gibt.
Im zweiten Teil (Ethik) arbeitet JNR den philosphischen Kanon zur Rationalität ab. Lesenswerterweise immer wieder mit aktuellem Bezug zur Finanzkrise. Letztlich hält JNR in seinen Betrachtungen ohne größere weitere Begründung aber am Prinzip eines rationalen Individuums fest. Bemerkenswert, wo doch gerade in der Ökonomie immer wieder von Irrationalität und der Psychologie der Märkte die Rede ist. Im Text finden sich durchaus Bonmots: „Es gibt nicht nur Schwarmintelligenz, sondern auch Schwarmidotie.“
Teil drei (praktische Vernunft) widmet sich JNRs Theorie struktureller Rationalität.
Der Grundgedanke ist der, dass die Individuen in ihrem (rationalen) Entscheidungsverhalten äußern, nicht (ausschließlich) als Bewertung von Handlungskonsequenzen interpretiert werden dürfen. Vielmehr sind diese Präferenzen Ausdruck einer umfassenden Beschreibung der Entscheidungssituation und ihrer Bewertung.
In seiner Betrachtung bleibt JNR aber an der isolierten Entscheidungssituation hängen. Er vernachlässigt unsere komplexe Welt mit Widersprüchen und Paradoxien, sowohl in unseren individuellen Präferenzen als auch in den Anforderungen, die an uns Individuen gestellt werden. JNR hält am Grundgedanken eines rationalen Menschen fest und versucht unser Handeln kritisch anhand aktueller Fragestellungen zu Hinterfragen. Er schlägt dabei den Bogen von der Ökonomie, über die Philosophie bis hin zur Politik, so plädiert er leidenschaftlich für die Zivilgesellschaft. Diese Passagen sind durchaus intelligent und sympathisch, aber in meinen Augen ist die grundlegende Rationalitätsvorstellung in gewissem Maß auch naiv. Die Diskussion Freiheit oder Determination – also inwieweit wir überhaupt selbstbestimmt sind, geschweige denn die Unvollkommenheiten (wir haben keine idealen Märkte, wir habe keine vollständige Information…) bleiben außen vor.
Das Buch ist dennoch ein lesenswerter politischer Essay, kein philosophisch-wissenschaftlicher Text.
Julian Nida-Rümelin
Die Optimierungsfalle. Philosophie einer humanen Ökonomie (Amazon)
München 2011