Unter diesem Titel setzt sich ein Beitrag auf den Webseiten der IG Metall mit dem Wandel in der ITK-Industrie auseinander und bemängelt, dass der Mensch dabei auf der Strecke bleibt. Die Rede ist von IT-basierten Lean-Konzepten für die Kopfarbeit und dabei wird alles in einen Topf geworfen: Agile Methoden, Mobiles Internet, Intelligente Netze, Cloud Computing, Social Media, Crowd Working. Beispiele werden u.a. von HP, Nokia Siemens Networks, IBM und SAP angeführt.
Aus gewerkschaftlicher Sicht wird bemängelt, dass die Global Player in diesem Umfeld verstärkt auf Offshoring, Outsourcing, transnationale Projekt- und Teamarbeit sowie Crowd Working-Strategien setzen. In kleineren Betrieben würden sich die Arbeitsbedingungen u.a. aufgrund von Fachkräftemangel bei zunehmender Arbeitsbelastung verschlechtern. Als Risiken der Veränderungsprozesse werden attestiert:
Prekäre Beschäftigungsformen wie Leiharbeit und Scheinselbstständigkeit nehmen ebenfalls zu. Damit verbunden sind häufig wachsende gesundheitliche Belastungen, allgemeine Verunsicherung und psychischer Druck in einem „System permanenter Bewährung“ (Boes/Bultemeier).
Das so gezeichnete Bild entspricht so gar nicht den idealistischen Vorstellungen agiler Methoden. Liegt doch beispielsweise dem agilen Manifest ein ganz anderes Menschenbild zugrunde. Jurgen Appelo würde das oben beschriebene Szenario als ein Management 2.0 bezeichnen, die Umsetzung von Methoden wie Leanmanagement, TQM & Co in hierarchischen Systemen. (Dabei liegt eigentlich auch dem Leanmanagement ein ähnliches Menschenbild zugrunde, das in der Verkürzung aber auf der Strecke bleibt und mittlerweile fast schon in Vergessenheit geraten ist.) Jurgen postuliert stattdessen ein Management 3.0 (Amazon Affiliate Link) mit der Einführung agiler Methoden und der Abkehr von hierarchischen Systemen.
Bei agilen Methoden liegt die Betonung i.d.R. auf Selbstorgansiation und Selbstbestimmung und eine mögliche Überforderung á la Boes/Bultemeier wird nicht weiter diskutiert. Allerdings reagieren agile Vertreter auf die Verknüpfung agiler Methoden mit klassischem Optimierungsdenken, wie bei Wolfram Müllers High-Performance Projektmanagement auf openPM oder bei seinem Beitrag auf dem PM-Camp in Dornbirn durchaus dünnhäutig. Offenbar sieht sich die Zunft gerade nicht gerne als neues Produktionsmodell.
Persönlich missfallen mir die idealisierten Rahmenbedingungen agiler Ansätze, weil sie häufig utopisch sind. Wenn ich den idealen Product Owner, am besten gleich noch auf Kundenseite, von Anfang an engagiert und eingebunden in meinem Projekt habe, dann sind das Voraussetzungen, die auch jedem klassischen Projekt gut tun würden, die nur in der Realität nicht immer anzutreffen sind. Erfrischend hier wieder Jurgen Appelo, der jüngst in einem Blogbeitrag das imperfekte agile Vorgehen postuliert: Don´t let Scrum make you fragile. Er plädiert dafür Methoden wie Scrum nicht Buchstabe für Buchstabe umzusetzen, sondern auch Platz für Variabilität, Unsicherheiten und Überraschungen zu lassen. Ich fürchte nur, dass deutsche Gewerkschaften dies der arbeitenden Bevölkerung nicht zutrauen und deren permanente Überforderung anprangern werden…