Mal wieder Zettelkasten

Hier gab es schon einmal eine Referenz an Luhmanns Zettelkasten. Etwas off-topic bin ich jüngst über literarische Zettelkästen gestolpert, also über Literaten, deren Werke auf Basis ihrer ausführlichen Recherchen in Zettelkasten-Form beruhen. Zu nennen sind in dieser Kategorie z.B. Arno Schmidt, Walter Kempowski oder Gerhard Henschel (Affilliate Links). Über Gerhard Henschels „Martin Schlosser“-Romane (Affiliate Link) bin ich zufällig in dieses Genre gerutscht. Ein bisschen hat man das Gefühl, dass sich deren Bücher quasi automatisch aus den Zettelkästen generieren. Umso erschlagender deren Fülle. Manchmal würde man sich vielleicht auch eine poentiertere Kürze statt einer Materialschlacht wünschen, aber da schöpfen die Autoren dann eben ihr mächtiges Werkzeug – den Zettelkasten – schonungslos aus („ich hatte leider keine Zeit mich kurzzufassen“).

Aber zurück zu meiner Urlaubslektüre von Gerhard Henschel, einer autobiographisch geprägten, eben Zettelkasten basierten Romanreihe über den Studienabbrecher und angehenden Schriftsteller Martin Schlosser. Verglichen mit der Seitenzahl passiert verdammt wenig, aber die Handlung ist auch eher sekundär, denn im Vordergrund steht das Panoptikum einer Zeit von den späten 60ern bis in die 90er und das Werk eines Ich-Erzählers ist angereichert mit unzähligen Fundstücken aus dem Zettelkasten: Zeitgeschichte, Zitate, Songtexte, Werbeslogans, Fußballergebnisse, Fernsehsendungen. Vermeintlich Belangloses, das sich in seiner Fülle zu einem Mosaik zusammensetzt, allerdings einem Mosaik mit Haltbarkeitsdatum. Wirklich nachvollziehbar ist dieses Mosaik nur für die plus/minus eine Generation, die dies alles selbst erlebt hat, für alle anderen Leser bleiben es vermutlich Belanglosigkeiten. Aber für diese Leser-Generation gibt es dafür unendlich viele Déjà-vus und sentimentale Erinnerungen. Ganz sicher nicht jedermanns Sache, über deren literarische Einordnung man auch streiten kann, für mich aber ein Wiedersehen mit eigener Kindheit und Jugend. Danke dafür.


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