Es gibt nur ein Projektmanagement

Agil, klassisch, hybrid – was ich von diesen Unterscheidungen halte habe ich schon hinreichend kundgetan z.B. in meiner kleinen Polemik „Warum hybrides Projektmanagement Bullshit ist„. 

Ich halte die Frage nach den PM-Schulen für grundlegend irreführend. Es gibt nur ein Projektmanagement. Statt ideologischer Grundsatzdiskussionen braucht es eine differenzierte Betrachtung. Vielmehr als auf das Etikett kommt es darauf an, was dahinter steckt, um erfolgreich zu sein braucht ein Projektmanagement vor allem drei Dinge:

These 1: Die Auftragsklärung und die Auseinandersetzung mit den Prämissen für Planung und Steuerung sind elementar.

Was sich zunächst trivial anhört, wird in der Praxis schnell oberflächlich übergangen. Der Projektauftrag, die Aufgabe ist meist weniger eindeutig und klar als es zunächst anmutet und wer sich nicht von Anfang an damit auseinandersetzt erlebt oft ein böses Erwachen.

Hinter den Prämissen für Planung und Steuerung verbergen sich eigentlich ganz einfache Fragen: wer plant wann, was, in welcher Tiefe, mit welchem Zeithorizont mit welcher Verbindlichkeit und welchem Vorgehensmodell. Was zunächst für die Planung gilt, lässt sich auch generell auf die Organisation im Projekt übertragen: zentrale oder dezentrale Steuerung (Selbstorganisation ist hier ein Zauberwort).

Die PM-Schulen liefern uns eine (unlautere) Abkürzung bei der Beantwortung dieser Fragen. Zum jeweiligen Zeitpunkt und im jeweiligen Kontext müssen wir uns diesen Fragen immer wieder aufs Neue stellen und ja, es kann durchaus sinnvoll sein diese Fragen mitunter unterschiedlich zu beantworten.

Warum dies so ist habe ich auf dem PMCamp München versucht mit einer Life Cycle Betrachtung zu erklären.

Selbst in einem so klassisch geprägten Umfeld wie dem Bauprojektmanagement haben wir Spielraum bei der Beantwortung dieser Fragen. Auch wenn die Projektplanung zunächst klassisch startet, gibt es innerhalb der einzelnen Gewerke sicher agilen Spielraum, bei unvorhergehenen Ereignissen auf der Baustelle oder auch später bei Betrieb und Unterhalt eines Bauwerks.

Wir haben Abhängigkeiten und Vorgaben, seien es Firmenvorgaben oder Industriestandards, amtliche Zulassungsverfahren oder eine Baugenehmigung, die uns in ein sequentielles Korsett zwingen – ob wir wollen oder nicht (ich hatte hierzu mal eine interessante Diskussion mit einem Software-Entwickler aus der Automobilindustrie, aber da gibt es noch viel mehr Branchen angefangen von Pharmazie, Medizintechnik, Luft- und Raumfahrt, ….).

Wenn wir uns im konkreten Kontext mit diesen Fragen auseinandersetzen, werden einige Schalter bereits gesetzt sein, ob wir wollen oder nicht. Vielleicht ergibt sich dann etwas wie ein hybrides Bild, aber ich würde es nicht so nennen wollen, weil es sich nicht um ein Cherry-Picking sondern um eine differenzierte Ausarbeitung handelt.

These 2: Jedes Projekt braucht Agilität.

…aber nicht jedes Projekt braucht agiles Projektmanagement. Diesen Satz habe ich Drings im PM-Krimi (Teil 1, 2, 3, 4, 5, 6) sagen lassen und er entspricht meiner Überzeugung. Agilität ist eine notwendige Eigenschaft im Umgang mit Unvorhergesehenem. Und egal ob uns die Komplexität oder das Chaos mit Ungewissheit konfrontieren: in Projekten müssen wir immer damit rechnen, dass sich Anforderungen oder Voraussetzungen ändern oder Unvorhergesehenes eintritt, ja vielleicht sogar unser Projekt von einem Moment zum anderen obsolet wird, obwohl wir gar nichts falsche gemacht haben. Auch in diesem Bereich gibt es ein paar Zauberwörter, wie Resilienz, Fehlerkultur, Changemanagement und…und…und….

These 3: Mindset, Kommunikation und Transparenz sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren in Projekten.

Dem agilen Projektmanagement liegt ein Mindset zugrunde, dass im agilen Manifest zum Ausdruck kommt. 

Ein solches oder ein vergleichbares Mindset tut jedem Projekt gut, egal mit welchem Vorgehensmodell und Prämissen gearbeitet wird. Letztlich ist es lediglich Ausdruck eines gesunden Menschenverstandes. Es ist Grundlage für eine „Projektkultur“.

Warum braucht es eine solche Projektkultur? Nun, eine gemeinsame Haltung, zumindest als kleinster gemeinsamer Nenner bildet die Basis für ein Team. Um im Team erfolgreich zu arbeiten braucht es neben dieser Basis die Etablierung von Kommunikation, die letztlich Transparenz zu Vorgehen und Projektgegenstand schafft.

Agile Vorgehensweisen haben eine ganze Reihe von Kommunikationsritualen und Prozessen etabliert, aber gerade bei der Skalierung oder der Implementierung in einem Umfeld ohne entsprechendes Mindset entstehen dann agile „Zombie-Projekte“.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund für ein solches Mindset und die Werte von Teamarbeit – nein, das hat nichts damit zu tun, dass ich ein naiver Gutmensch bin: wir sind in Projekten i.d.R. auf eine gewisse Freiwilligkeit und Motivation aller Beteiligten angewiesen. Das Zusammenspiel von Linie und Projekt ist beileibe nicht so selbstverständlich und reibungsfrei wie es sein sollte. Auch die Zusammenarbeit im Team ist keine Selbstverständlichkeit. Die Befristung von Projekten stellt viele Beteiligte vor eine persönliche Herausforderung. Interessenskonflikte sind vorprogrammiert.

Kein Patentrezept!

Diese drei Thesen liefern leider kein Patentrezept, sondern zwingen uns uns auf den eigenen Hosenboden zusetzen, die Ärmel hochzukrempeln und uns mit unserem Projekt und unserer Umwelt auseinander zusetzen. Wie immer gibt es keine einfachen Antworten, sondern wir brauchen eine differenzierte Betrachtung. Vielleicht ist diese differenzierte Betrachtung das, was der eine oder andere unter hybriden Projektmanagement versteht. Wenn diese Differenzierung nicht erfolgt, dann sind wir ganz schnell beim Zusammenpanschen von Tütensuppen und so praktisch Tütensuppen (und einfache Antworten) auch sein mögen, auf Dauer vergeht mir da der Appetit und ich glaube nicht, dass auf dieser Basis erfolgreiche Projektarbeit nachhaltig möglich ist. Küchen-Sterne sind damit auf jeden Fall nicht zu gewinnen.

PM-Krimi (1): Ein Workshop in den Bergen

Sherlock gingen diese Workshops gegen den Strich. Statt mit seinem Team am nächsten Sprint zu arbeiten war er von Phillippo Totalo zu diesem blödsinnigen Workshop auf einer Almhütte in den Bergen verdonnert worden. Das sei wichtig, wegen der digitalen Transformation. Und das ganze Unternehmern müsse agiler werden, sagt so ein Schwachkopf ausgerechnet einem Scrummaster wie Sherlock. Und dann laufen auf der Hütte auch so obskure Gestalten wie dieser Drings rum: stocksteif, als hätte er einen Besen verschluckt, sogar hier oben mit weißem Hemd, immerhin ohne Krawatte und immerhin hatte er sich sogar zu einer Jeans hinreißen lassen. Casual war angesagt.
Eigentlich hieß Drings gar nicht Drings. So hatte ihn ein Entwickler aus Sherlocks Team getauft und alle hatten hinter vorgehaltenen Hand den Namen übernommen. Drings war Doktor der Ingenieurswissenschaften und so was von old school, dass sich Sherlock weigerte Drings richtigen Namen zu merken.
Schon bei Totalos Eröffnung hatte sich schnell rausgestellt, dass Sherlock und Drings die Antipoden dieses Wochenendes bilden würde. Hatte Phillippo, Programmmanager im Konzern, doch über hybrides Projektmanagement referiert. „Wir müssen alle voneinander lernen.“ „Das beste aus zwei Welten.“ Und so weiter – da rollten sowohl Sherlock als auch Drings, Projektmanager vom alten Schlag, mit den Augen.
Zum Aufwärmen und Kennenlernen hatte Phillippo dann zum x-ten Mal die Marshmallow Challenge aufgewärmt. Sherlock hätte kotzen können und und Drings gab sich vermeintlich jovial und souverän.
Im nächsten Themenblock waren alle aufgefordert ihr aktuelles Projekt und dessen Stand vorzustellen. Sherlock hatte über ihre agile Projektplanung referiert und als Drings nach deren Verteilung auf dem Zeitstrahl fragte, hatte Sherlock noch ironisch angemerkt, ob er es als Balkendiagramm darstellen solle und da hatte Phillippo doch eingeworfen: „Warum nicht!“ Das Beste aus beiden Welten.“ Sherlock hatte innerlich ein Messer aufgeklappt und redete jetzt nur mehr Phillippo nach dem Mund. Nicht weil er ihm gefallen wollte, sondern, um mit seinem Team abtauchen zu können und in Ruhe die eh schon schwierige Aufgabe zu bewältigen. Da wollte er ihre Probleme nicht Phillippo und schon gar nicht Drings auf die Nase binden.
Als nächster war Drings an der Reihe. Status-Reporting at its best. Gleich ein paar Ampel-Folien, alles grün natürlich und Drings war in seinem Element
Es folgten ein paar weitere Berichte und schließlich war es Zeit zum Abendesse! Und nach dem Abendessen war Phillippo tot. Mausetot.

 


Was bisher geschah:

Intro: Klassisch. Agil. – Ein Projektmanagement-Krimi

Warum hybrides Projektmanagement Bullshit ist

Klassisches und agiles Projektmanagement sind seit Jahren die Antipoden, warum nicht das Beste aus beiden Welten nehmen und verwursteln? Fertig ist ein hybrides Projektmanagement. Voila!

Nun, das ist Bullshit.

Wer hybrides Projektmanagement predigt hat die grundlegenden Prämissen nicht verstanden. Was Planung und Vorgehensmodell angeht sind beide Ansätze grundverschieden. Ich will das gar nicht am Wasserfallmodell aufhängen, denn den reinen Wasserfall gibt es praktisch gar nicht. Und den hat das klassische Projektmanagement auch nie so gepredigt, wie ihm immer unterstellt wird. Aber für die Projektplanung sind grundlegende Festlegungen wichtig, die in die eine oder die andere Richtung weisen:

Wer plant? – Eine zentrale Planung im Stab oder dezentral im Team.

Mit welchem Planungshorizont? – Je größer der Planungshorizont, desto größer die Komplexität des Plans und desto größer die Auswirkung von Änderungen und Planungsfehlern.

Mit welcher Planungstiefe? – Auch das hat wiederum Auswirkungen bei Änderungen und Fehlern.

So sehr agile Ansätze en vogue sind, kann es Limitationen (Verfügbarkeiten, Spezialistentum, …) oder Vorgaben (z.B. Standards) geben, die nach wie vor einen klassischen Ansatz rechtfertigen. Umgekehrt gibt es kein „nicht-agiles“ Projektmanagement, wie Holger Zimmermann zuletzt zurecht anmerkte.

Also macht dann hybrid nicht doch Sinn?

Nein, denn mit der Festlegung unserer Planprämissen sind wir entweder klassisch oder agil unterwegs. Was nicht ausschließt, dass man auch bei einem klassischen Ansatz auf agile Methoden zurückgreifen kann und umgekehrt im agilen sich auf klassische Projektmanagementtechniken stützen darf. Wo es Sinn macht, natürlich.

High-Level – bei der Produktplanung kann ein Product Owner vielleicht sogar klassisch unterwegs sein. Seine Pläne bleiben aber auch entsprechend auf einem hohen Level, dass ihre Anpassung kein Problem ist. Was er an ein Scrum-Team übergibt muss dann aber entsprechend das Agile unterstützen. Er übergibt nicht den detaillierten Gesamtprojektplan, sondern seine Anforderungen z.B. in Form eines Backlogs, die dann vom Team dezentral detailliert geplant werden.

Mit so einem Verständnis sind klassisch und agil keine Antipoden mehr, sondern bewusste Festlegungen.

Klassisch und agil sind keine Gegner, auch wenn man in der einen oder anderen Diskussion eine Gegnerschaft vermuten könnte. Auf der einen Seite wurzelt die eine oder andere Kritik am klassischen Vorgehen in einem falschen Verständnis von Agilität (und davon gibt es leider immer mehr, je mehr sich „agil“ dem Mainstream nähert) und umgekehrt zeugt ein müdes Lächeln über agile Ansätze von einer ewig gestrigen, bornierten Sicht auf unsere VUCA-Welt mit ihrer Dynamik.

Nur ein hybrides Projektmanagement ist ein zu einfacher Lösungsansatz und deshalb bleibe ich dabei:

Hybrides Projektmanagement ist Bullshit.

 

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