Aller guten Dinge sind 3 – zumindest bei Jean-Phillippe Hagmann. Nach dem Innovationstheater und dem Meta-Modell für agile Innovation jetzt Luther für Innovatoren. Aber eigentlich ist es diesmal kein Buch zum Lesen, sondern eher zum Stöbern. Viel Kurzstrecke, keine Langstrecke. Ein Format mit vielen Thesen zum Nachdenken, auch wenn die Luther Analogie etwas überstrapaziert wird (die Luther-Zitate haben mich jetzt weniger angesprochen).
Weniger große Botschaft als viele Denkanstöße. Und es würde mich nicht wundern, wenn ich immer wieder zu diesem Buch zurückkehren werde (was mir sonst eher selten passiert).
Jeder These folgen 1-2 Seiten zur Erläuterung, Thesen wie:
Erfolgreiche Innovationen sind niemals neu. Denn das wirklich Neue findet niemals breite Akzeptanz.
Die Idee wird konstant überbewertet. Doch die Idee ist nichts ohne Innovation.
Innovation ist für viele Unternehmen wichtig, muss aber meist warten, weil sie nicht dringend ist.
Der Fokus auf die Machbarkeit einer neuen Idee wird von Innovationsteams systematisch überbewertet.
…
Und davon mindestens 95 Stück. Natürlich finden sich Schlagworte wie Serendepität, Künstliche Intelligenz, aber auch Negativraum.
Nicht jeder These wird man folgen, vielleicht regt sich auch Widerspruch, aber das ist gut so und auch gewollt.
Ein schönes kleines Büchlein. Eine klare Empfehlung.
Eigentlich könnte dieser Beitrag auch in der Rubrik „Gelesen“ stehen, denn Anlass war das kleine aber feine Buch von Dieter Geckler über Kreativität (Amazon Affiliate Link).
Dieter Geckler ist ein Prozessmensch und so beschreibt er (nach einem Exkurs über die Geschichte der Kreativität) wie auf drei Ebenen (Einzelperson, Team, Organisation) ein kreativer Prozess abläuft. Natürlich nicht linear, sondern mit Sprüngen. Trotz aller gemachten Einschränkungen fühlt sich das Ganze aber doch sehr geordnet und strukturiert an. Er schreibt zwar, dass Kreativität nicht im Detail planbar ist aber bei der Lektüre fühlt es sich dann doch anders an. Und dann sind wir bei einem (Mikro-)Management für Kreativität.
Was mir fehlt sind Strategien zur Ermöglichung von Kreativität und da würden mir ein paar einfallen:
(Frei-)Räume schaffen
Lernbereitschaft und Fehlerkultur
Visuelles Denken, Storytelling und Spielen
Effectuation
Verwertung und Speicherung
Kommunikation und Austausch
Machen!
Aber der Reihe nach…
ad 1 – (Frei-)Räume schaffen
Räume und Flächen nutzen kann man visuell und haptisch, aber natürlich auch im übertragenen Sinn. Wenn wir vollkommen ausgeplant sind, bleibt keine Zeit für Kreativität. Wir brauchen Zeit und Platz für eigene Ideen und Gedanken. Die müssen erst einmal gar nicht zielgerichtet sein, aber nur so lernen wir uns zu entfalten. Und natürlich widerspricht das unserem Effizienzdrang. Wollten wir nicht Verschwendung vermeiden? Manchmal müssen wir aber auch Unproduktivität ertragen, um auf einer anderen Ebene wieder produktiv werden zu können. Für solche Freiräume gibt es in der Managementlehre den Terminus des Organizational Slack.
ad 2 – Lernbereitschaft und Fehlerkultur
Neugier, Offenheit und Lernbereitschaft sind ebenso wichtig wie eine Fehlerkultur. Fehler sind kein Stigma, sondern ein Geschenk, die neues Lernen erlauben. Und doch sind wir bei Fehlern schnell nachtragend und suchen den Schuldigen, obwohl die Suche nach Schuldigen völlig absurd ist: Wir verschwenden weitere Energien, anstatt konstruktiv das Beste aus einer Situation zu machen.
ad 3 – Visuelles Denken, Storytelling und Spielen
Zugegeben einige meiner Lieblingsthemen. Wichtig in dieser Kategorie ist, dass uns diese Dinge helfen können, ohne dass sie bereits methodische Schärfe mit sich bringen. Im Gegenteil die Unschärfe ist ihre Stärke, sie bewahrt uns vor voreiligen Kurzschlüssen und regt zur weiteren Auseinandersetzung an. Das mag vielleicht „unwissenschaftlich“ sein, ist aber verdammt effektiv. (Wobei es durchaus wissenschaftliche Erklärungen für die Wirkungsweise gibt.)
ad 4- Effectuation
Effectuation hatten wir hier schon einmal. Die empirische Herleitung der Effectuation mag ich zwar überhaupt nicht, Ihre Prinzipien halte ich aber für wegweisend:
Das Prinzip der Mittelorientierung (Welche Mittel und Möglichkeiten stehen uns überhaupt zur Verfügung?)
Das Prinzip des leistbaren Verlusts (Wo ist unsere Schmerzgrenze? Wieviel Verlust können wir uns für Ausprobieren und Lernen leisten?)
Das Prinzip der Umstände und Zufälle – Neudeutsch: Serendepität
Vereinbarungen und Partnerschaften (Wieso alles allein machen? Unsere Partner sind auch ein Mittel dass wir wechselseitig gewinnbringend nutzen können.)
ad 5 – Verwertung und Speicherung
Dieter Geckler weist im Rahmen der Digitalisierung auf elektronische Bibliotheken, z.B. für unser CAD-Programm hin, aber wir können natürlich schon viel früher anfangen (Geckler verweist auf Zettelkästen), aber da gibt es natürlich auch Sketchbooks, Archive und alle möglichen Hilfsmittel, die wir im Prinzip kennen, aber dann doch zu faul sind, sie auch konsequent zu nutzen, um unsere Ideen und Gedanken auch wiederzufinden, aber das reicht noch nicht, wir wollen sie ja auch noch umsetzen verwerten oder nutzbar machen.
ad 6 – Kommunikation und Austausch
Der Diskurs über Kunst/Kreativität kann weitere Kreativität auslösen und nach sich ziehen (sofern er nicht zum Selbstzweck degeneriert). Ähnlich wie bei der Fehlerkultur ist hier auch Offenheit gefragt. Das Gegenteil sind Bücherverbrennung und Diffamierung als entartete Kunst. Aber auch im Guten verbirgt sich die Gefahr der Political Correctness, die zu Selbstbeschneidung und Zensur führt.
ad 7 – Machen!
Last but not least das Wichtigste: Wir wollen schließlich nicht nur über Kreativität philosophieren (was ja ok ist), sondern in die Puschen kommen. Innovationsprozesse können die Kreativität erdrücken. Und genau das wollen wir ja nicht. Wir wollen ja nicht die Innovationsmaschinerie anschmeißen, sondern in unserem Denken und Handeln kreativ sein. (Bei Geckler findet sich übrigens der schöne Begriff der Alltagskreativität.)
Diese Liste von Strategien zur Ermöglichung von Kreativität ist sicher unvollständig. Die einzelnen Strategien können sich auch ergänzen.
Aber wir wollen Kreativität ja nicht nur verwalten, sondern sie inspirieren und lostreten.
PS: Credits für die Illustration gehen übrigens an mein Töchterlein, bei der ich diese schon etwas älteren kolorierten Skribbels geklaut habe.
André Claaßen hat sich auf Twitter darüber gefreut, das er Luhmanns Zettelkasten für sich entdeckt hat. Ein Artikel darüber samt einem Foto von Luhmann vor seinem Zettelkasten hängt seit einigen Jahren zur Inspiration über meinem Schreibtisch:
Ich arbeite übrigens aktuell mit meinem eigenen Zettelkasten. Nachdem ich nicht wie Detlef Stern gleich einen eigenen Zettelstore dafür entwickle, nutze ich der Einfachheit halber Evernote dafür. Dort entsteht für mich zum Eigen- und Projektgebrauch mein Methoden- und Werkzeugkasten. Natürlich besteht mein Fundus schon länger, aber zur besseren Organisation und Wiederfindbarkeit, werden die Inhalte gerade systematisch nach Evernote überführt.
Neben dem Luhmann-Artikel aus dem Jahr 2000(!) hängt übrigens eine weitere Inspiration: ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung zu finden war die schematische Darstellung des Sternekochs Ferran Adriá, wie er zu neuen Ideen kommt:
Völlig nebensächlich, ob man seinen Pfaden folgt, beeindruckend fand ich vor allem die systematische Auseinandersetzung mit der eigenen Kreativität. Bei einem Vertreter der Genusswelt hätte man so einen analytischen Ansatz nicht unbedingt vermutet, d.h. zu einem Vertreter der Molekularküche passt er sehr wohl.
Inspiration Cards ergänzen das traditionelle Brainstorming um neue, kreative Aspekte. Die auf Karten notierten Fragen regen die Teilnehmer dazu an, eine Problemstellung aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Hierzu versetzen die Fragen die Teilnehmer in andere Rollen oder fiktive, sogar utopische Szenarien.
Das erste Mal über ein solches Kartendeck bin ich vor Jahren bei Michael Michalko (Amazon Affiliate Link) gestolpert.
Mittlerweile habe ich mir ein eigenes Deck „gebastelt“. Dabei greife ich durchaus auch auf andere Methodenbausteine zurück, z.B. auf die 6 Thinking Hats von deBono:
Ganz banal auf W-Fragen:
Oder auf die SCAMPER-Kreativitätstechnik:
Darüber hinaus habe ich auch noch ein ganzes Deck voller „Heldenkarten“, wobei der Begriff „Heldenkarte“ eigentlich zu weit geht. Eigentlich sind es eher „Virtual Advisors“ und ich kann, will und muss mich mit ihnen auch nicht identifizieren, aber sie helfen eine ganze bestimmte Rolle einzunehmen und aus dieser ein Problem zu durchleuchten. Es sind eher Archetypen als Vorbilder. Ähnlich wie ein Advokatus Diaboli steht jeder Kopf dabei für eine ganz bestimmte Rolle. Ich werde künftig immer wieder mal die eine oder andere Inspiration Card, den einen oder anderen Virtual Advisor auf schlossBlog “ einstreuen“.
Bereits in ihrem Klassiker „Wien wartet auf dich“ (Amazon Affiliate Link) haben Tom DeMarco und Timothy Lister bereits 1987 eine Abkehr vom Großraumbüro gefordert:
Inspiriert zu diesem Post hat mich ein Beitrag in der BR-Reihe Lebenslinien über den „schrägen Vogel“ Sissi Perlinger, die u.a. an ihrem Schreibtisch (Foto links oben) gezeigt wurde. Ich weiß auch nicht, wieso ich dabei gleich an mein eigenes Kellerbüro denken musste.
😉
Scheinbar brauchen kreative Menschen auch ein gewisses kreatives Chaos am Arbeitsplatz.
Das zweite Bild (links unten) zeigt die verstorbene Managementtrainerin Vera F. Birkenbihl an ihrem Schreibtisch (Quelle: Youtube). Das Chaotische scheint also durchaus gehirngerecht zu sein.
Rechts daneben ein Zeitungsausriß über den Soziologen Niklas Luhmann mit seinem „Zettelkasten„, der über meinem Schreibtisch hängt (Quelle: SZ), auch wenn es heute Evernote und OneNote als Alternativen dazu gibt.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns alle vier in unserem „Chaos“ pudelwohl fühlen und uns davon inspirieren lassen.
Auch die nächste Generation ist schon gesichert, wenn ich mir die Bastelwerkstatt auf dem Schreibtisch meiner Tochter anschaue.
Also ein Plädoyer für das Chaos?
Nur bedingt, denn was den beschriebenen Kreis eint ist, dass wir alle vermutlich mehrere Arbeitsplätze parallel haben (respektive: hatten). Beim Kunden habe ich selbstverständlich eine Clean Desk-Policy (nur beim Whiteboard fällt es mir schwer mich zu beherrschen). Wir haben also situationsspezifisch unterschiedliche Anforderungen an unseren Arbeitsplatz und ja, da muss auch Platz sein für eine kreative, chaotische Insel.
In den flexible Office-Konzepten werden zwar gerne Arbeitsplätze für unterschiedliche Anforderungen (Ruhearbeiten, Gruppenarbeiten, Besprechungen, Telefonieren,…) vorgesehen, nur der „Heimathafen“, der Platz für die eigene Pflanze wird gerne vergessen. Mein Kellerbüro ist definitiv so ein Heimathafen!
Nicht ein Osterei, sondern eine wunderbare Perle findet sich in der Osterausgabe der Süddeutschen Zeitung (26.03.2016). Im Feuilleton Großformat gibt es die Karte der kreativen Methoden/Techniken nach Ferran Adrià. Ja, Ferran Adrià ist dieser Spitzenkoch mit der Molekularküche. Seine Karte ist weit weniger küchenspezifisch als man vermuten möchte. Rein visuell ist die Karte beeindruckend, zum Einen in ihrer Komplexität und Vielfalt zum Anderen in Ihrem persönlichen Stil und Ausdruck eines Meisters seines Fachs.
Gerade eben habe ich eine Generalüberholung des openPM-Artikels Kreativität & Kreativitätstechniken abgeschlossen. Aber was heißt abgeschlossen, eigentlich ist dies erst der Anfang:
Die Übersicht der Kreativitätsmethoden lässt sich sicher noch erweitern, um Links zu Methodenbeschreibungen ergänzen und das eine oder andere Kreuz in der Beschreibungsmatrix sollte vielleicht noch korrigiert werden.
Beim weiteren Ausbau bin ich aber hoffentlich nicht allein, sondern wünsche mir möglichst viele Mitstreiter! Also wer Lust hat ist herzlich eingeladen den Artikel (oder auch einen anderen Artikel auf openPM) zu erweitern oder zu ergänzen. Es reicht schon, wenn ihr einen interessanten Link ergänzt, einen Tippfehler verbessert, oder, oder…
Und neue Artikel sind selbstverständlich auch erlaubt!
Den zweiten Teil dieser kleinen Reihe, der sich schwerpunktmässig dem Thema Wahrnehmung gewidmet hat, möchte ich gerne noch ergänzen mit dem Link zu einem aktuellen Artikel von Florian Rustler, der sich damit beschäftigt, wie unser Gehirn Innovationen verhindert. Letztlich beschreibt er genau einen dieser Filter, die ich im vorangehenden Beitrag dieser Serie angesprochen habe. Wir haben abzuwägen zwischen Kreativität und Effizienz. Der beschriebene Filter fokusiert auf Effizienz. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir aber auch eingreifen und je nach situativen Bedürfnissen auf das Postulat der Effizienz oder aber einen kreativen Ansatz setzen.